Seine wundersamen Wimmelbild-Welten hat Wes Anderson selten so formvollendet auf den Punkt gebracht wie in seiner Ode an den Oldschool-Journalismus. Dennoch geht dieser Leistungsschau bisweilen Entscheidendes ab.

Darum geht’s: Das Verhältnis zwischen Filmwirtschaft und Journalismus ist nicht unbedingt von gegenseitigem Austausch auf Augenhöhe geprägt. Nehmen wir etwa die schreibende Sparte der Zunft her: Klar, wenn die Geschichte genug ist, kommt diese schon einmal, gern auch für etwaigen Heldenmut geadelt, zu höheren Bewegtbildehren – zuletzt gar gleich oscar-veredelt in Spotlight. Damit hat es sich gemeinhin aber auch schon. Umgekehrt muss man lange suchen, um einen Film zu finden, über den nicht zumindest einige wenige Wörter geschrieben wurden.

Auftritt Wes Anderson. Seines Zeichens nicht nur Liebkind der Filmjournaille, sondern auch ausgestattet mit einem ausgeprägten Faible für Dinge und Phänomene, die ihre Hochzeit schon ein paar Jahreszeitenwechsel hinter sich haben. Für Tiefseetaucher etwa, oder klassische Grand Hotels. Jüngstes Objekt der retroromantischen Begierde des Regisseurs: der gute alte Printjournalismus. Freilich nicht irgendeiner, sondern jener ganz speziellen Ausprägung, für die heutzutage etwa noch das Magazin „The New Yorker“ steht: profundes Beschreiben und Ergründen der Welt anhand von ellenlangen Essays und Reportagen.

Das diesem Streifen seinen Namen spendende, in einem sehr fiktiven Frankreich verlegte, sehr fiktive Magazin lässt sich dieser Gattung zuordnen – oder genau gesagt: ließ. Denn nach dem Dahinscheiden des Herausgebers hat sich die Belegschaft des Verlags zum Abschiednehmen versammelt – was sodann als Anlass dafür verstanden wird, vergangene Glanztaten des Periodikums Revue passieren zu lassen. Damit wäre die Hauptgeschichte von Andersons zehntem Langfilm auch bereits hinreichend geschildert, sie dient im Prinzip rein als Klammer für dreieinhalb darin integrierte, lose verknüpfte, verlässlich verspulte Short Stories. Im Ansatz nicht unähnlich der kurzlebigen Amazon-Serie The New Yorker Presents… erweist sich The French Dispatch als ein zum bewegten Leben erwecktes Magazin – bloß in jener einfallsreichen Qualität, auf die sich beinahe nur Anderson versteht, mit seinem instantly erkennbaren, jedes Still durchwirkenden Trademark-Style und der obligatorisch beeindruckenden Besetzungsliste.

Entsprechend kommt man zunächst aus dem Staunen und Schauen auch gar nicht raus, so designberauscht und detailbesessen wie uns Hollywoods Hipster-Manierist da in vibrierenden, streng symmetrisch komponierten und mittig kadrierten Bildern von einem zum Malerstar gewordenen Häfnbruder erzählt, oder von der Affäre einer Reporterin mit einem jungen Studentenführer. Bisweilen gerät man ob der eindrucksvollen Fülle von Figuren und Farben, Architekturen und Anekdoten, jedoch auch immer wieder in Gefahr, den Faden zu verlieren – und erst recht den emotionalen Zugang. Denn bei aller charmanter Ausstattungsschwelgerei berührt einen das Schicksal der Charaktere meist herzlich wenig – oder zumindest nicht so wie in Andersons Meisterleistungen der Marke Moonrise Kingdom. Ob dies bloß der Kürze der einzelnen Episoden geschuldet oder der Filmemacher drauf und dran ist, sich in seinem idiosynkratischen Irrgarten zu verlaufen, das wird uns erst sein kommendes Werk erzählen. Dieses hier präsentiert sich bei klarer Sicht erst einmal als nicht weniger, aber eben auch nicht mehr als die Summe seiner formvollendeten einzelnen Teile.

Besondere Beachtung: Nicht, dass es in bisherigen Wes-Werken an Schauspielkalibern gemangelt hätte – aber mit dem (für mehrere Stories auch erforderlichen) A-Liga-Actor-Aufgebot von The French Dispatch ließen sich locker zwei Fußballteams besetzen. Zu Stammkräften wie Bill Murray, Owen Wilson und Frances McDormand gesellen sich nun auch noch namhafte Neuzugänge wie Timothée Chalamet, Christoph Waltz oder Benicio del Toro.

Koordinaten: The New Yorker Presents…; Grand Budapest Hotel; Die Tiefseetaucher

Anschauen oder auslassen? Anschauen. Im ureigentlichsten Sinne des Wortes. Hinschauen, ganz genau. Und in Andersons bis ins kleinste Detail ausgetüftelte Kompositionen eintauchen und in ihnen versinken, immer wieder Neues zu Tage fördern aus diesen wundersamen Wimmelbild-Welten. Die hier so unterschiedlich akzentuiert (erstmals ist auch schwarz-weiß im Spiel) zur Anwendung kommen, dass einen den Eindruck ereilt, der Autorenfilmer hätte einfach einmal die gesamte Bandbreite seiner präzisen Postkarten-Ästhetik versiert durchdekliniert – gleichsam als Best of des bisherigen Bilderkatalogs. Schade bloß, dass die Charaktere dabei oft wie Spielfiguren im Setzkasten rüberkommen und emotional entsprechend auf Distanz bleiben.