Das goldene Dutzend der Serien-Saison beeindruckte mit absurden Europa-Trips, Blicken in menschliche Abgründe sowie allerlei verstörenden Arbeitsplatzsituationen. Und natürlich einem Antihelden-Abschied für die Ewigkeit.

Im vergangenen Jahr stand an dieser Stelle noch ein etwas ausufernder Prolog. Weil aber alles wesentliche, also alles, weswegen auf diesen Artikel geklickt wurde, ohnehin gleich in recht vielen Zeichen festgehalten nach diesem Absatz kommt, nehme ich mir einfach heraus, auf einleitende Worte diesmal zu verzichten. Insofern stehen diese paar Zeilen hier rein als Hinweis auf den 2021er-Rückblick – für den Fall, dass der eine oder die andere eine bestimmte Serie vermissen sollte, die unter Umständen damals schon abgefeiert wurde. Also, without further ado: Vorhang auf für das Dutzend der besten Staffeln der Spielzeit 2022!

P.S.: Alles so spoilerfrei, wie es möglich war, garantiert bei den neuen Shows. Die Texte zu den länger gedienten, mitunter schon in die letzte Runde gegangenen Serien verraten oft ein wenig mehr!

12. The English (S01)

So viel Western war länger nicht mehr. Also nicht mengenmäßig, wo jedes Jahr ja reichlich neue Sandopern-Ware für Film und Fernsehen gedreht wird – vielmehr im konkreten Fall The English ganz stimmungsmäßig: so sehr nach Western wie Serienschöpfer Hugo Blicks Blick fühlt sich das unsterbliche Genre nur noch selten an. Das Kunststück des Briten, der seine Top-Miniserien The Honourable Woman und Black Earth Rising nochmals überflügelte, bestand darin, dass er für diesen Sechsteiler den Kanon Ford/Leone/Huston mit im TV selten gesehener, berückender Breitwandopulenz aufrief (keine Show sah heuer prachtvoller aus), ihn dabei gleichwohl einer Neuinterpretation unterzog, die sogar noch weit über das hinausging, wofür der revisionistische Western gut ist. Angelegt als keine Gewalttat und Garstigkeit ausblendende Siedlersaga, in der Kugeln und Pfeile so schnell und zielsicher flogen wie Worte, verrückte die BBC-Produktion die Perspektive kundig und ganz ohne Eigenschulterklopfen in Richtung Postkolonialismus und Feminismus. Stellte mit einer mit allen Wassern gewaschenen englischen Lady (Emily Blunt) und einem wenig edelmütigen Pawnee (Chaske Spencer) zwei eher untypische, vom Schicksal zusammengewürfelte Outlaws, die wenig heldenhaft ihren jeweiligen Gerechtigkeitsmissionen nachgingen, ins Zentrum des Geschehens. Leistete sich dabei einen superschillernden Bösewicht (Rafe Spall!), räumte ihm aber exakt nur jenen Platz in der Geschichte ein, der ihm gebührt. The English war solcherart ein (übersehenes) Exempel dafür, was selbst im festgefahrensten Genre möglich ist, wenn man es mit Wagemut und Wissen auseinander schraubt und die erheblichen Schrauben neu ausrichtet. Die Essenz reloaded: Ja, so viel Western war länger nicht mehr.

11. Yellowjackets (S01)

Es muss wohl daran liegen, dass sich ihre Erstausstrahlung sowohl 2021 als auch 2022 abspielte, dass die erste Staffel dieser so auf- wie aufsehenerregenden Mystery-Show in auffällig wenigen Jahresendwürdigungen (beider Jahre) wiederfindet. Denn an der beunruhigenden Kraft dieses Genre-Cocktails aus Survival-Thriller und Coming-of-Age/Midlife-Crisis-Drama gibt‘s im Prinzip nichts zu deuteln. Ebenso wenig wie am Hype, den diese verblüffende wie vogelwilde Story rund um den Flugzeugabsturz eines High-School-Mädchen-Fußballteams (mitsamt folgendem, über 18-monatigem Wildnis-Überlebenskampf) und der bis ins ein Vierteljahrhundert spätere Heute reichenden Auswirkungen quasi von der Pilotfolge an auslösen konnte. Neben dem Einflüsse von Herr der Fliegen über Lost bis Mean Girls gewitzt mit gewichtigen Themen wie Trauer und Trauma jonglierenden Skript war es hier speziell das bemerkenswert gut aufeinander abgestimmte Zusammenwirken von jüngerem Cast und älteren Pendants (Ikonen wie Christina Ricci und Juliette Lewis), das einen Woche für Woche immer noch ein wenig mehr in den Bann zog. Das, und das extra-authentische 90s-Flair via Looks und Songs sowie der enorm süchtig machend hohe WTF-Faktor natürlich … So oder so kann die neue Season voll mit gewiss neuen wüsten Geheimnissen gar nicht früh genug kommen – im März ist es zum Glück eh schon so weit.

10. This Is Going to Hurt (S01)

Kann man ja nicht behaupten, dass es in der TV-Landschaft je einen Mangel an Hospitalsdramen gegeben hätte. Die Göttinnen und Götter in Weiß: ein echter Evergreen. Aus der grauen Masse an Kittel-Shows herauszustechen, etwa durch eine ehrlichere Abbildung des Ärztelebens, das kriegen indes nur die allerwenigsten Produktionen hin – so wie diese auf den Memoiren des ehemaligen Arztes Adam Kay aufbauende, britische Miniserie. Diese stellte eine berechtigte wie beängstigende Frage: Was wird früher zusammenbrechen – das Gesundheitssystem oder die Menschen, die oft mit dem letzten Mute der Verzweiflung versuchen, es noch irgendwie am Laufen zu halten? Menschen wie der vom zuverlässig eindrucksvollen Ben Whishaw mit enormer emotionaler Komplexität angelegte Gynäkologe in einem öffentlichen Krankenhaus etwa: hoffnungslos überlastet, unendlich erschöpft, darob oft gereizter und arroganter als er es sich je eingestehen würde – und damit bei allen guten Absichten möglicherweise selbst schon eine Bürde für die Patientenschaft. Dass diese aufwühlende BBC-Show nicht nur ein wirksames Gleichgewicht aus Charakterstudie und Systemkritik, sondern in all dem Drangsal auch Zeit für und Auflockerung durch beißenden Witz fand, ist ihr indes gar nicht hoch genug anzurechnen. Denn wenn‘s dann am Ende unweigerlich ans Eingemachte ging, dann tat sie auch zuverlässig und mehr als je zuvor das, was sie im Titel versprach. Ganz genau: richtig weh.

9. The Bear (S01)

Das filmische Speisekarte dieses Jahrgangs hielt mit The Menu und Boiling Point bereits so manche hitzige Hochdrucksituation hinter Herden bereit – doch mit dem Level an Intensität, dem uns die erste Episode dieser in einem Chicagoer Sandwich-Laden angesiedelten Serie mit unruhiger Kameraführung, hektischem Tempo und belastender Klangkulisse aussetzte, konnte 2022 nichts mithalten. Zum Glück für unser aller Nerven war diese an Uncut Gems gemahnende Stress-Stufe aber nicht der einzige Gang, den diese Geschichte rund um einen Sternekoch (stark: Shameless-Star Jeremy Allen White), der aus der Welt der Haute Cuisine an den Heimatherd zurückkehrte, um den Betrieb des Bruders vor dem Untergang zu retten, aufzutischen verstand – sonst wäre selbige auch kaum einer der größten viralen Hits der Saison geworden. Kaum, dass sich der erste Sturm nämlich mal gelegt hatte, entpuppte sich die Kreation von Christopher Storer (Ramy) als thematisch vielschichtiges, tiefgründiges, von einem erstklassigen Ensemble und, ha, messerscharfen Dialogen getragenes Workplace Drama, in dem besonders die von ihrem Perfektionismus getriebenen und ihrer Trauer verwundeten Mitglieder dieser bunt zusammengewürfelten Ersatzfamilie erkennen müssen, dass sie sich erst gegenseitig besser behandeln müssen, damit auch das Essen besser werden kann. Yes, Chef!

8. Killing It (S01)

Man kennt das nach einer gewissen Zeit in der Bewegtbild-Berichterstattung ja nur allzu gut: Mit unguter Regelmäßigkeit gibt es da diese eine Serie, die so irre gut ist, dass man mit echt allen drüber reden möchte – bloß: kaum wer hat je von ihr gehört, geschweige denn sie geschaut. Zum Glück löst sich das in vielen Fällen durch Weiterempfehlen in Wohlgefallen auf, allerdings eben nicht immer. So wie im Falle dieser Produktion von Streaming-Nachzügler Peacock, für die die Vokabel unterschätzt noch ein Hilfsausdruck ist – im Zeitalter der allgegenwärtigen Content-Überdosierung wurde diese Comedy-Perle zumeist schlichtweg gar nicht mal ersteingeschätzt. Dabei würde sie dem „Eat the rich“-Zeitgeist von Shows wie The White Lotus und Succession doch quasi von der anderen, abgehängten Seite auf halber Strecke entgegenkommen, diese herrlich am Rad drehende Erzählung vom tapferen Loser (Craig Robinson, ohnehin auch dauer-unterschätzt), der eine Python-Tötungs-Competition in Florida (wo sonst?) gewinnen muss, um sich endlich den Traum von der gewiss goldenen eigenen Entrepreneur-Existenz verwirklichen zu können. Bloß, um im Zuge der zehn Halbstünder dieser scharfsinnigen wie -züngigen Satire stets von Neuem erkennen zu müssen, dass das dem American Dream Nachjagen häufig ein niederschmetterndes Treten auf der Stelle der Gig-Economy bleibt, das dir schon mal die letzten Reste von Menschlichkeit rauben kann: „ain’t nothing but snakes all the way down“. Wie sich Killing It unerschrocken (und sensationell unterhaltsam) an die schmerzhafte Substandard-Substanz wagte, bei allem Sarkasmus jedoch nie den Glauben an das Gegengift in Form von Freundschaft und Empathie verlor, hätte sich wahrlich viel mehr Fans verdient. Tune in!

7. Black Bird (S01)

2022: Das Jahr, in dem Apple TV richtig anschreiben konnte. Neben zwei Beispielen, die hier gleich im Anschluss folgen werden, zählte auch Dennis Lehanes Adaption eines bestürzenden realen Serienkillerfalls zu den großen Gewinnerserien des Streaming-Departments des Tech-Giganten. Beruhend auf den selbsterklärend betitelten Memoiren In With The Devil: A Fallen Hero, A Serial Killer, And A Dangerous Bargain For Redemption schilderte die sechsteilige Miniserie die wahre Geschichte eines wegen Drogen- und Waffenbesitzes eingebuchteten Lebemanns, der nur eine einzige Chance auf eine vorzeitige Entlassung hatte: Er musste einem Mithäftling, einem mutmaßlichen Mädchenvergewaltiger und Serienmörder, eine belastbare Beichte entlocken. Dafür galt es freilich erst einmal, sich in die ärger upgefuckte Geisteswelt seines Gegenübers hineinversetzen – eine Reise ins Herz der alltäglichen Finsternis, die tief gestörte (die Internet-Psychologie würde sagen: toxische) Männlichkeit heißt, während der er auch sich selbst viel besser kennenlernen sollte als es ihm lieb war. Der bedrohliche Mindhunter-harte Kraft der Inszenierung setzte im Verbund mit dem faszinierenden Schauspiel-Showdown zwischen Taron Egerton und Paul Walter Hauser im True-Crime-Genre ungewohnte Tiefen und Aspekte frei, die Black Bird länger nachhallen ließen als 95% der artverwandten Produktionen.

6. Reservation Dogs (S02)

Mit solcher Überzeugungskraft wie die Dramedy um ein Quartett von Native-American-Teens, das in seinem Reservat in Oklahoma nicht nur mit all den universellen wie hyperspezifischen Challenges des Erwachsenwerdens umzugehen lernen muss, sondern auch mit dem Suizid des Fünften in ihrem Bunde, kam im letzten Jahr kaum eine neue Sendung aus den Boxen. Und doch war die Premierenstaffel bloß ein Vorgeschmack auf das ganze Potential, das Serienschöpfer Sterlin Harjo und sein gänzlich indigenes Kreativteam im zweiten Durchlauf mit ansehnlicher Konsequenz ausschöpfte. Darauf aufbauend, dass man die vier Rez Dogs inzwischen ebenso wie die vielen schillernden Nebenfiguren der Community besser kannte, wagte sich die Serie aus ihrer Komfortzone heraus – mit noch mal knochentrocken komischeren, auch bewegenderen Resultaten. Unvergesslich waren etwa der ultraweirde Drogentrip von Cop Big (Zach McClarnon, der mit Dark Winds 2022 auch eine famose „eigene“ Show am Start hatte) und der alkoholselige Ausflug der „Aunties” zu einer Konferenz, der den Übergang von hilarious zu heartbreaking exemplarisch mit jener mühelos wirkenden Perfektion hinbekam, die diese nahezu magisch perfekte Season auszeichnete. In deren emotionalem Kern freilich weiter der Struggle von Elora, Willie Jack, Bear und Cheese stand – und die anhaltende Frage: Should they stay or should they go? Das ergreifend gute Finale getraute sich mutig, manche Weichen zu stellen – wir können es kaum erwarten, sie so bald wie möglich zu befahren. 

5. Atlanta (S03/04)

Zu den absonderlicheren Corona-Spätfolgen gehörte die, dass Donald Glovers phantastische Showbiz-Satire nach der gefeierten zweiten Staffel geschlagene vier Jahre benötigte, um auf die Mattscheiben zurückzufinden. Das tat sie dann heuer aber mit gleich zwei neuen Seasons – die dafür auch schon die letzten waren. So unberechenbar wie die Art des Atlanta-Comebacks war auch die Natur vieler der 20 (!) neuen Folgen: Bevor man nicht den Play-Knopf gedrückt hatte, konnte man allenfalls ahnen, was einen ungefähr erwartet. Wo sich die dritte Staffel trotz einiger Anthologie-Abbiegungen ohne Main Cast mehrheitlich aus den Europa-Tour-Eskapaden von Earn (Donald Glover), Rapper-Cousin Alfred/Paper Boi (Brian Tyree Henry), On/off-Freundin Van (Zazie Beetz) und Schrulli Darius (LaKeith Stanfield) zusammensetzte, widmete sich die vierte der nicht immer friktionsfreien Rückkehr aufs heimische Terrain. Selbige bescherte schließlich jedem der Fab Four eine angemessene Abschiedsrunde: Earn und Van campten und gestanden sich ihre Gefühle, Al entpuppte sich als Landei in spe und Darius gehörte das letzte Kapitel, das womöglich bestätigte, was viele immer schon vermutet hatten: Dass die Jahre in und mit Atlanta letztlich ein einziger großer Traum gewesen sein könnten. Ein würdiger, weirder Schlussakt, der genauso unfassbar war wie der Weg bis dorthin – und diese einzigartige Serie an sich: surreal bis exzentrisch im Humor, experimentell im Ton, scharfsinnig in der Analyse, die fortwährende, unentrinnbare Horror-Komödie of being black in the showbiz mit den Mitteln der Überhöhung und Übertreibung zur Kenntlichkeit entstellend. Danke für den wilden Ritt.

4. Pachinko (S01)

Mit Serieninterpretationen von Taffy Brodesser-Akners Fleishman Is in Trouble (solid) bis Sally Rooneys Conversations With Friends (meh) wusste das Fernsehen auch 2022 hochwertig umgesetzte Bewegtbilder aus den Literaturhits der jüngeren Vergangenheit zu ziehen. Doch keine Adaption hinterließ heuer so viel Eindruck wie jene von Min Jin Lees Pachinko. Das fing bei den selbst in einer Saison vieler toller Titelsequenzen (Peacemaker, Severance) speziell Augen öffnenden Opening Credits mit ihrer irren Tanz-Choreo in einem der titelspendenden Pachinko-Salons an, hörte da jedoch noch lang nicht auf. Dabei waren die Showrunnerin Soo Hugh und die Regisseure Kogonada (der mit After Yang auch einen der besten Filme 2022 verantwortete) und Justin Chon in kreativer Hinsicht keine kleinen Risiken eingegangen: Die sich vom besetzten Korea über Japan bis in die USA erstreckende Multigenerationensaga war fürs TV mit Vorsatz strukturell aufgebrochen worden – was zur Folge hatte, dass da nun recht frei flottierend die Timeline auf- und abgefahren wurde. In drei Sprachen wohlgemerkt. Das prächtige, präzise, packende und herzbewegende Resultat sprach freilich für sich: weil es exquisit fotografiert und fantastisch gespielt (stark: Kim Min-ha und Youn Yuh-jung als junge/alte Protagonistin Sunja) epische Breite und intime Einsicht zusammendachte – zu einer großen Geschichte über Heimat und Familie und ungebrochenen Lebensmut selbst in den widrigsten Umständen.

3. Barry (S03)

Ist die rabenschwarze, von Kritik wie Publikum gleichermaßen verehrte Tragikomödie von und mit Bill Hader nun eher eine augenzwinkernde bis ungeniert alberne Satire der Oberflächlichkeit der Traumfabrik ist oder doch eine ausnehmend abgründige Erkundung von Missbrauch und Depression? Das ließ sich auch nach Abschluss der pandemiebedingt verspäteten dritten Staffel nicht letztgültig klären. Aber warum sollte sie und man sich überhaupt entscheiden müssen – Barry ist auf beiden Spielfeldern, zuweilen gar zur gleichen Zeit, fortgesetzt eine Klasse für sich. Schon entschieden ist indes, dass die neuen Folgen die Geschichte vom von all den Toden um ihn herum mitgenommenen Auftragskiller, der am liebsten doch einfach bloß Schauspieler wäre (die classic Hollywood Story, but remixed!) nochmal ganz besonders kühn weiterspann – indem sie Barry nach dem mit einem extrem böswilligen Verrat verbundenen Ausraster im Finale von Season zwo erst einmal entschieden am emotionalen Tiefpunkt ankommen ließ. Während Teile der Welt um ihn herum in Scherben lagen (oder permanent kurz davor zu stehen schienen), stand der Antiheld vor der Wahl, ob er seinen Kampf, irgendwie doch mal ein rechtschaffener Mensch zu werden, überhaupt weiterführen will und kann – und wenn ja, für wen oder was. Der schmerzhafte Weg zur Selbsterkenntnis und womöglich Erlösung war unerbittlich düster, irre lustig und abgrundtief traurig – und wurde begleitet und getragen von einem der besten Casts der TV-Gegenwart (Sarah Goldberg! Anthony Carrigan! Henry Winkler!), einer knochentrocken rockenden Inszenierung (was eine Verfolgungsjagd?!) sowie einem unverschämt ausgefuchsten Skript, das zynische Dialekte genauso fließend sprach wie humanistische. Summa summarum sollte also inmitten all der shiny new toys der Serienwelt keinesfalls untergehen, dass Barry jetzt schon den Status eines modernen Serienklassikers für sich beanspruchen darf.

2. Severance (S01)

Mit einer Diskussionen wie dauernde Denkarbeit herausfordernden Frage hatte der erste große Dramaserien-Hit von Apple TV+ in diesem Frühjahr alle am Haken: Würde man sich einem medizinischen Eingriff unterziehen, der das berufliche Selbst irreversibel vom privaten Selbst abspaltet – so wie die Angestellten der rätselhaften, sektengleichen Lumon Industries? Radikale Work-Life-Balance, das zynische Beste beider Welten, ein feuchter Mehrwerttraum. Zumindest so lang man die Routine (und damit sich selbst) nicht zu hinterfragen beginnt oder gar versucht, hinter die spektakulär stylishen Kulissen dieser schönen neuen Arbeitswelt zu schauen. Die große wie auch manche pointierte kleinere Frage – Was genau arbeiten die da eigentlich? Was hat’s mit dieser Waffel-Party auf sich? – mitsamt garantiert irritierender Antworten ließen Creator Dan Erickson, Regisseur Ben Stiller und der exzellente Cast (von Adam Scott über Christopher Walken bis zu MVP Britt Lower) zu einer surrealen SciFi-Mystery-Mutation der guten alten Workplace Comedy wuchern. Und als in dieser beklemmenden Arbeitsweltabrechnung Schaudern und Schmunzeln, Geheimniskrämerei und Gegenwartskritik irgendwann auf wundervolle Weise nicht mehr klar zu trennen waren, zog Severance eine weitere Trumpfkarte aus dem Ärmel und wusste auf bewegende Weise auch noch etwas zu den Themen Trauer und Verdrängung zu sagen. Beste neue Serie dieser Spielzeit.

1. Better Call Saul (S06)

Und so ging sie in diesem Jahr tatsächlich zu Ende, die vielleicht letzte große Serie des Golden Age of TV. Sie tat dies, wie zu erwarten war, mit allergrößter Exzellenz – dabei anders, eleganter, wiewohl nicht minder fesselnd als das Mutterschiff Breaking Bad. Die Challenge, nicht nur für die Saga von Saul/Jimmy einen würdigen Schwanengesang zu liefern, sondern auch ein für alle Mal das gesamte, größere Universum zu einem Abschluss zu bringen, meisterte das kongeniale Duo Vince Gilligan und Peter Gould, indem es das Unvermeidliche auf elektrisierende Weise stets auf das Unerwartete treffen ließ. Und so trug sich wirklich bemerkenswert viel zu, sehr viel mehr als es einem die auf den ersten Blick detailreich bildgewaltige wie eben auch gemächliche Gangart glauben lassen würde. Wir durften unter Nägelkauen und Nervenkitzel bestaunen, wie nicht mehr zu verhindern war, dass Gesetzestreue und Gaunereigewerbe auf Kollisionskurs gingen, wie bekannte Gesichter und Szenen wieder auftauchten und in neue Kontexte gesetzt wurden, wir wurden Zeugen von schockierenden Todesfällen, schließlich gar von einem metaphorischen: jenem der Titelfigur. Und doch war nichts so ergreifend wie jene finalen, zu den wundertollsten der Fernsehgeschichte zählenden Momente, die ausdrücklich die verhängnisvolle Beziehung zwischen Kimmy und Jimmy (zum Niederknien gut: Rhea Seahorn und Bob Odenkirk) ins Zentrum stellten, sie als das würdigten, was sie immer war: das wild schlagende Herz dieser Erzählung. Das Kunststück, diese Amour fou zu feiern, ohne Saul zu verschonen, geht so schlussendlich als die größte Errungenschaft dieses Schlussaktes durch. Goldstandard.

Ebenfalls Erfreuliches im Schnelldurchlauf

+++ Was war das denn bitte? Next Level Doku-Drama? Grenzwertige oder grenzgeniale soziale Versuchsanordnung? Ein schwarz- und schwatzhumoriger Jux? Was Nathan Fielders The Rehearsal genau war, wusste man auch nach seinen sechs Folgen nicht – wohl aber, dass man so was (verschrobenes, sicher; schlaues, vermutlich) noch nicht gesehen hatte, nicht heuer, nicht irgendwann. +++ Nicht ganz fair natürlich, dass hier einige der gefeierten Newcomer vom letzten Jahr einfach außen vor gelassen wurden, obwohl sie nichts falsch gemacht hatten, außer eben nicht mehr neu und chic zu sein. That said verdienen sich sowohl The White Lotus als auch Hacks weiterhin jede mögliche Aufmerksamkeit, während sich Only Murders in the Building letzten Sommer eventuell ein wenig zu sehr auf den bewährten Modus operandi verlassen hat +++ True-Crime-Adaptionen waren auch 2022 wieder die eierlegende Wollmilchsau für sämtliche Streaming Service – wobei die Qualität mit der Quantität kaum mithalten konnte (wie uninspiriert war eigentlich Dahmer auf Netflix?) Erfreuliche Ausnahmen: das erwähnte Black Bird, The Staircase und Under the Banner of Heaven. +++ Abschied nehmen es nicht nur von Better Call Saul und Atlanta, sondern unter anderem auch von langjährigen Lieblingen wie Peaky Blinders, Better Things oder The Kingdom/Riget – sie alle werden uns in bester oder zumindest angemessen seltsamer Erinnerung bleiben. +++ Neulinge, die mehr als einen Blick wert waren: Peacemaker, Bad Sisters, The Sandman, Station Eleven, Minx und Slow Horses. +++