Sein Hab und Gut veräußern, um einen ewigen Herzenswunsch zu verwirklichen? Das sind die Storys, die man hören will! Aber sind es auch die Filme, die man sehen will? Im Fall von Coppolas Alterswerk ist die Antwort nicht einfach.

Alles schien angerichtet, der Weg, den dieser kleine Text einschlagen sollte, leuchtete in bestechend scharfen Konturen. Nach der gewohnt gewissenhaften Themensuche – über das Prozedere wurde in der vorigen Kolumne berichtet – tauchte erneut in letzter Minute ein Objekt der filmischen Begierde auf, über das es sich doch bestimmt lohnen würde, ausführlich und angeregt zu fabulieren: Megalopolis von Francis Ford Coppola. Genau, DER legendäre Coppola, der in den 70er Jahren mit den ersten zwei Der Pate-Teilen, Apocalypse Now und Der Dialog unverrückbare Meilensteine des Weltkinos setzte, hat sich mit Mitte 80 tatsächlich noch einmal aus seinem Schaukelstuhl im kalifornischen Sonoma County aufgeschwungen. Für ein Alterswerk, ein Herzensanliegen.

Seit Dekaden schwirrte die Idee zu Megalopolis im Kopf des Seniors des vielköpfigen Hollywood-Clans (Sofia Coppola ist seine Tochter, Nicolas Cage sein Neffe), konnte aber aus vielfältigen Gründen nie auf Zelluloid gebannt werden. Um den Film nun doch noch realisieren zu können, trennte sich Coppola schließlich sogar von einem Teil seiner lukrativen Weingüter. Ja, wenn einer der Größten seiner Zunft 120 Millionen Dollar aus der eigenen Schatulle in seinen wohl letzten Leinwandtrip steckt, sein eigenes Bonmot „Es bedarf keiner Fantasie, um im Rahmen seiner Mittel zu leben“ nochmals mit Leben füllt, dann muss das doch 1A-Euphoriefutter für diese Kolumne hergeben, oder?

Einige bedauerliche Begleitumstände haben die Vorfreude in den letzten Monaten allerdings schon frühzeitig etwas getrübt. Die heuer zur Weltpremiere von Megalopolis in Cannes verbreiteten Schilderungen vom Set etwa, in denen dem Regisseur von unprofessionellen Drehbedingungen bis hin zu unangemessenem Verhalten alles Mögliche nachgesagt wurde. Oder auch der schwer verhunzte Trailer zum Film, der uns Coppola mit frei erfundenen Kritikerzitaten als ein von der Presse seit jeher missverstandenes Genie verkaufen wollte. Problematisch, as they say.

Aber gut, sehen wir uns das Ganze erst einmal selbst im dunklen Saal an. Die Stimme von Laurence Fishburne signalisiert gleich zu Beginn, dass es dem Werk nicht an Gegenwartsbezug mangeln soll: „Unsere amerikanische Republik unterscheidet sich gar nicht so sehr vom alten Rom. Werden wir auch dem unersättlichen Machthunger einiger weniger zum Opfer fallen?“ Coppola führt uns sodann durch die Tore von New Rome, einer Hybride aus Comic-Kino-Moloch (mehr DC als Marvel), Caligula und Metropolis. Um das Schicksal der von Dekadenz und Tristesse gleichermaßen gezeichneten Megacity ist ein Kampf zwischen dem genialischen Architekten Cesar Catilina (Adam Driver) und dem populistischen Bürgermeister Franklyn Cicero (Giancarlo Esposito) entbrannt. Letzterer will den mit Wahlkampfzuckerln versüßten Status quo bewahren, wohingegen Cesar seine nachhaltige Utopie einer Stadt verwirklichen will, die organisch mit ihren Bewohnern wächst. Ausgerechnet Ciceros Tochter Julia (Nathalie Emmanuel) ist von dem Vorhaben angetan und wird bald zu Caesars Vertrauter. Der Bürgermeister ist naturgemäß wenig erfreut über diese Verbindung – und auch andere Feinde des Vordenkers bringen sich mit Intrigen in Stellung … Wird sich das Neue gegen das Alte, das Schöne gegen das Nützliche, das Morgen gegen das Heute durchsetzen können?

Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, auf welcher Seite Coppola in diesem Duell der Ideale steht: natürlich auf der des Träumers, der seinen Gestaltungswillen gegen jede vermeintliche Vernunft stellt. „Wenn wir uns ins Unbekannte stürzen, beweisen wir, dass wir frei sind“, heißt es dazu einmal im Film. Und was könnte ein wagemutigerer Sprung ins Ungewisse sein, als sein Vermögen auf eine Vision zu setzen, die in der Infragestellung des Zustands der Welt die einzig Möglichkeit sieht, ihren Untergang zu verhindern? Was wäre das Kino schließlich auch ohne seine Megalomanen, die es mit Hybris in neue Welten katapultieren, indem sie die Vorstellungen davon, was Unterhaltung sein kann, mit filmischen Fieberträumen gezielt unterlaufen?

Wie aus den obigen Zeilen deutlich geworden sein sollte, hätte ich Megalopolis also theoretisch sehr gerne genossen. Dass ein Film, der so viel zu erzählen hat, mitunter holprig, stellenweise unübersichtlich und in seiner Dialoglastigkeit auf Dauer ermüdend sein kann, war dabei durchaus eingepreist. Und ja: In der Tat geht es 2 1/4 Stunden lang entschieden schwatzhaft zu. Coppola zitiert ausschweifend Marc Aurel, Ovid und Shakespeare, lässt sein Ensemble (in dem speziell Aubrey Plaza sardonisch brilliert) in verquasten Monologen hochfliegende Reflexionen über Zeit und Macht deklamieren, die kaum je ohne Verweise auf Literatur, Philosophie und Geschichte auskommen.

Die inhaltliche Überfrachtung dieses wilden Paarlaufs aus Politdrama, Science Fiction, Noir und Satire findet ihr Pendant in einer ebenso intensiven visuellen Reizüberflutung. So schillernd und prachtvoll Coppolas digitale Bilderwelten auch sein wollen, sie wirken nicht selten auf jene ganz eigene, kostspielige Weise billig, wie man sie aus zahllosen ästhetisch verunglückten Netflix-Blockbustern kennt. Dennoch gelingt es dem Altmeister dabei immer wieder auch – kurz bevor man vielleicht schon genervt etwas wie „Rebel Moon für Lateinprofs“ in seinen Notizblock kritzeln wollte – mit nicht mehr erwarteten betörenden Sequenzen voll kühner Erfindungsgabe zu verblüffen.

Auch wenn es Megalopolis inhaltlich an Schärfe und ästhetisch an Finesse mangelt, bleibt man angesichts dieser ephemeren Geistesblitze immer neugierig, was Coppola als nächstes noch aus dem Köcher zaubern wird. Das macht den unerklärlichen Reiz dieses letztlich unerklärlichen Werkes aus, das einem viel abverlangt – einen dabei aber auch nie gleichgültig lässt. Und das ist sicher mehr, als man dieser Tage von den meisten Produktionen mit neunstelligem Preisschild behaupten kann.